Als Belege für die Behauptung, dass Alexei Nawalny Nationalist sei, werden oft seine Teilnahmen an den früher jährlich stattfindenden, von rechten Gruppen organisierten “Russischen Märschen” in Moskau vor 2012, seinen Ausschluss aus der liberalen Partei Jabloko im Jahr 2007, seine Bemerkungen zum Georgienkrieg 2008 oder auch seine Aussagen über Menschen, die aus dem Kaukasus oder Zentralasien stammen, während seines Wahlkampfes als Bürgermeisterkandidat in Moskau im Jahr 2013 genannt.

Jüngere Aussagen von Alexei Nawalny, die seine nationalistische oder rechtsextreme Haltung seit 2015 belegen würden, sind hingegen nicht bekannt.

Dennoch liest und hört man auch immer wieder von Journalisten und Kritikern Nawalnys, dass er seine alten, problematischen Aussagen nie direkt widerrufen habe.

Jedoch hat er sich in einem aktuellen Interview mit dem Ökonomen Sergej Guriew vom Dezember 2020 klar gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der ethnischen Zugehörigkeit ausgesprochen und die Vision formuliert, dass Russland als Nation von gleichberechtigten Staatsbürgern zusammenwachsen muss. Ebenso spricht er sich für die staatliche Förderung von Minderheitensprachen und ein Quotensystem für die Repräsentanz aller Volksgruppen in ethnisch sehr diversen russischen Förderationssubjekten wie Dagestan aus.

Zudem verbrachte er zweimal mehrere Monate im westlichen Ausland. Einmal als World Fellow an der Yale University in den USA (2010) und, unfreiwillig, in Deutschland zur medizinischen Behandlung und Reha nach seiner Vergiftung im Jahr 2020. Er äußerte sich danach sehr positiv und wohlwollend über Deutschland und die Menschen, denen er während seines Aufenthaltes begegnet ist. An den russischen Märschen der Vergangenheit nahm er im Übrigen auf Anraten und in Begleitung einer jüdischen Freundin teil, die dabei offen eine Halskette mit großem Davidstern trug. Von rechtsextremer Seite wurde er dafür kritisiert. Auch sein Stabschef Leonid Volkov ist Jude. Ebenfalls unterstützte Alexey Nawalny in der jüngsten Zeit, als einer von ganz wenigen russischen Politikern, die Black Lives Matter Bewegung in den USA. Seine Tochter Daria besucht aktuell die liberal geprägte Stanford University in den USA, für die sie ein Stipendium erhalten hat.

Last but not least muss man sich in diesem Kontext immer bewusst sein, dass Alexey Nawalny für den Kreml seit vielen Jahren ein bedeutender Gegner ist, der von der russischen Regierung sowohl in Russland selbst als auch im Ausland mit viel Energie und staatlichen Ressourcen bekämpft worden war. Das Narrativ des “Nationalisten” Nawalny, wird erfolgreich dafür eingesetzt, den größten politischen Gegner nach der Devise “Teile und Herrsche” zu stigmatisieren und diskreditieren und so mehr internationale Unterstützung und Solidarität für den führenden russischen Oppositionellen, der soeben einen durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB durchgeführten Giftmordanschlag mit dem chemischen Nervengift Novitschok knapp überlebt hat, zu verhindern.

Besonders dreist wird diese Masche des Kremls gegenüber Nawalny vor dem Hintergrund, dass der Kreml selbst eine aggressive, national-chauvinistische, sexistische und imperialistische Politik mit massiver Aufrüstung und Polizeistaat praktiziert und in mehreren Nachbarländern (Ukraine, Georgien, Moldau) illegal fremdes Territorium militärisch besetzt hält. Rechte und rechtsextreme Personen und Gruppierungen aus Europa, Nordamerika und anderen Regionen erhalten seit Jahren von der russischen Regierung politische, propagandistische, finanzielle und logistische Unterstützung. Der Kreml mischt sich zu seinen Gunsten auch in Wahlen in demokratischen Ländern ein. Weite Teile der Unterstützerschaft rechter Parteien und Bewegungen in Europa und Nordamerika sind (mit Ausnahme von Rechten aus vom russischen Imperialismus betroffenen Ländern) offen Fans von Putin. Auf der anderen Seite findet man außerhalb Russlands kaum Rechte, die Fans von Nawalny sind.

De facto würde ein Wandel hin zu einem freiheitlich-demokratischen Russland dafür sorgen, dass mit dem Regime im Kreml die international größte staatliche Unterstützung für Rechtspopulisten und Rechtsextreme wegfallen würde. Als größter Gegner des Regimes steht Nawalny für diesen Wandel. Wer Rechtsextremismus und dessen Angriffe auf die liberale Demokratie bekämpfen will, tut gut daran, Alexey Nawalny und seine Mitstreiter von der demokratischen Opposition zu unterstützen.

Besondere Unterstützung verdienen diejenigen, die wie Alexei Nawalny und viele andere Oppositionelle jetzt als politische Gefangene für ihren Kampf gegen Korruption und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Haft sind bzw. straf- und zivilrechtlich und mit verschiedensten Schikanen verfolgt werden.