Jewgenija Berkowisch schreibt aus dem Gefängnis
21. August 2024
Russische Untersuchungshaftanstalten und Gefängnisse sind etwas völlig anderes, als sich Europäer vorstellen. Die Regisseurin Jewgenija Berkowitsch und ihre Kollegin, die Drehbuchautorin Swetlana Petrijtschuk, befinden sich seit 15 Monaten in Haft wegen des Vorwurfs, mit dem Theaterstück „Finist jasny sokol“ (dt. „Finist, der strahlende Falke“) Terrorismus gerechtfertigt zu haben.
Das russische Untersuchungshaftsystem sowie die russischen Gefängnisse unterscheiden sich stark von den europäischen. Es sind Orte, an denen Inhaftierte regelmäßig psychologischer oder physischer Folter und Erniedrigung auf engstem Raum ausgesetzt sind.
Das Theaterstück, das vom Gericht als „Rechtfertigung des Terrorismus“ ausgelegt wurde, hatte zuvor renommierte Preise gewonnen und thematisiert Frauen, die vom sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) angeworben wurden.
Unabhängige russische Medien sind überzeugt, dass Jewgenija wegen ihrer kriegskritischen Gedichte verfolgt wird, die sie auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hat, und dass ihre Kollegin Swetlana nur deshalb in Haft ist, weil sie mit ihr zusammenarbeitet hat.
Nach der Verhaftung wurden Jewgenija ihre zwei adoptierten Kinder mit geistiger Behinderung weggenommen.
In diesem Beitrag haben wir den letzten Brief von Jewgenija aus dem Gefängnis für Sie ins Deutsche übersetzt.
„Freunde, hallo.
Hiermit teile ich mit, dass meine Vorräte an Optimismus, Freude, Vergebung und Verständnis vorübergehend (hoffe ich) erschöpft sind.
Den letzten Schlag hat mir ein Brief von einer unbekannten Frau versetzt, der sinngemäß lautet: „Nun, wenn es euch im Gefängnis so leicht, gut und positiv geht, dann werdet ihr wohl nie freikommen oder ausgetauscht werden.“
Okay, ich berichte: Im Gefängnis ist es schwer, beschissen und negativ. Das letzte Mal, dass ich länger als 40 Sekunden am Stück in der Sonne war, ist 15 Monate her. Die Gespräche mit meiner Großmutter und den Kindern bringen mich zum Heulen und machen mich fertig, weil das kein echtes Gespräch ist, sondern Quälerei, aber sie kommen ohne das nicht aus. In der Zelle gibt es absolut niemanden, mit dem man reden könnte, und die Möglichkeit, wenigstens eine Stunde alleine zu sein, bietet sich einmal pro Woche oder alle zwei Wochen, wenn man den Spaziergang opfert.
Und ja, Leute, bei den Durchsuchungen, wenn man ins Gefängnis kommt und wieder rausgeht, muss man sich hinknien. Ohne Unterwäsche. Ein gefundenes Fressen für Klatsch und Tratsch mit Karpuk, wenn sie die Wörter „Berkowitsch“ und „ohne Unterwäsche“
zusammen lesen.
Kurz gesagt, es gibt nichts Gutes, Leichtes oder Positives im Gefängnis. Aber es gibt innere und äußere Ressourcen, mit denen man – und in meinem Fall ist es sehr notwendig – sein eigenes Leiden und seine Qualen auf ein Minimum reduzieren kann, ohne zu jammern und sich nicht als Opfer zu fühlen. Obwohl ich/wir natürlich Opfer sind, was soll man da machen.
So ist es.
Ich rauche jetzt schon fast 3 Wochen nicht mehr. Und ich halte Diät. Und ich habe ein Stück eines Librettos für ein neues Stück geschrieben. Also, ich bin großartig. Und das Gefängnis ist totaler Mist. Ach ja, wir sind natürlich politische Gefangene. Paragraf 205.2 ist ja kein Wirtschaftsdelikt, worüber soll man da streiten?
Ich liebe euch alle. Na gut, nicht alle, aber viele!
Und danke für die Bücher!
J.B.
16.08.24“
Erfahren Sie mehr über diesen Fall z.B. auf dekoder.
EIN THEATERSTÜCK VOR GERICHT
DIESE ABSURDITÄT MUSS EIN ENDE HABEN
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